Annett Louisan

Die deutsche Chanson-Diva mit dem Lolita-Image

Es tut sich langsam wieder was in Sachen Kultur in der Niedergrafschaft. Nicht dass das Annett-Louisan-Konzert die erste Live-Veranstaltung der Neuenhauser Kulturpass-Initiative seit Beginn der Corona-Zeiten gewesen wäre, aber am vergangenen Freitag gelang es, wieder rund 300 Zuschauer in die frischgebohnerte Aula des LMG Neuenhaus zu locken und damit an Zuschauerzahlen der Vergangenheit anzuknüpfen. Stargast des Abends war mit Annett Louisan die aktuell wohl beliebteste Vertreterin des deutschen Chansons. Lebhaft unterstützt von ihren Musikerkollegen Michael Goldreich am Keyboard, Florian Holoubeck am Schlagzeug und Hardy Kayser an der Gitarre präsentierte sie einen Querschnitt ihrer bekannten Hits sowie weitere Lieder aus aktuellen und älteren Alben.

Schon das erste Lied „Drück die 1“, bei der anrufende Verehrer mit einem auf ihre jeweilige Gemütslage abgestimmten Zahlenmenü vertraut gemacht werden, verriet vieles über die Natur einer Mehrheit der Lousianschen Songs, die ganz offensichtlich geprägt sind von einer deutlichen moralischen Schlüpfrigkeit, die aber immer wieder gepaart ist mit einer durchaus liebevollen Ironie, menschlicher Wärme und der Lust an geistreich-ironischen Wortspielereien mit originellen Pointen. Dazu kommt ihre umwerfend vitale, temperamentvolle Stimme, die jeden Moment changieren mag etwa zwischen gespielt-niedlichem, geradezu naiv klingendem Charme und lasziv babydollhafter Verführungskunst à la Lolita.

Natürlich fehlten Hits wie „Ich will doch nur spielen“ und ihr Klassiker „Eve“ nicht in ihrem Programm, eine von Wortwitzeleien und von Eifersucht geprägte Auseinandersetzung mit einer Konkurrentin, die da sportiv ist, positiv und attraktiv und überhaupt alles an sich hat,, was auf „ief“ endet.

Ein stärkerer Fokus des Abends lag aber auf neuen, z.T. erst in der Corona-Zeit entwickelten Titeln, dabei einfühlsam-sinnliche Cover-Versionen von Evergreens wie „Nights in White Satin“. Deutlich selbstironisch aufzufassen ist der Titel „Endlich dick“, denn die kleine, nur knapp über 1,50 m große Sängerin, die zu Beginn ihrer Karriere wohl über durchaus normgerechte Modelmaße verfügt haben mochte, hat sich in den letzten zwei Jahren zu einer Art Rubensfigur entwickelt. Humorvoll gerät auch ihre Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben, wobei sich dem Hörer bald erschließt, dass der Titel „Hallo Julia“ als sprachliche Mutation des christlichen Ausrufs „Halleluja“ zu verstehen ist.

Punktuell geraten ihre Texte auch durchaus derb, worauf etwa der neue Titel „Du liebst wie ein Arsch“ schließen lässt. Auch ein düster-dramatisch gezeichnetes Familienporträt „Wir sind verwandt“ fällt stimmungsmäßig etwas aus dem Rahmen.

Wie wichtig Louisan indessen ihre eigene Familie bzw. speziell die Beziehung zu ihrer alleinerziehenden Mutter gewesen ist, davon erzählt ihre besonders emotional geratene Ballade „Meine Kleine“, die aus der Sicht der Mutter erzählt, wie Louisan im sachsen-anhaltischen Schönhausen aufwuchs, ihren Weg zur Gesangskunst entdeckte und in jugendlichem Alter die Öffnung der Mauer erlebte. Nicht zuletzt aufgrund dieser Bindung freut sich Louisan immer besonders darüber, wenn im Publikum Mütter und ihre Töchter vereint sind.

Dass Louisan es gelang, mit ihrem natürlichen Charme und dieser Mischung aus frivolen und nachdenklichen Liedern ihr Publikum ganz für sich zu gewinnen, davon zeugten dann ihre drei Zugaben und die Tatsache, dass sie schließlich das gesamte sitzende Publikum zum Tanzen im Stehen animieren konnte.

Text: Marcus Pfeifer, Fotos: Gerold Meppelink