Die französische Jazznight am Freitagabend im Forum in Neuenhaus war ein ganz großes Ereignis. Ein Star der französischen Musikszene, ausgestattet mit der Goldenen Schallplatte und Ritter der französischen Ehrenlegion, und ein überaus versierter und weltweit gefragter Gitarrist traten auf.
Vom kräftigen Beifall des recht zahlreichen Publikums begrüßt, begannen der Geiger Didier Lockwood und der Gitarrist Sylvain Luc mit einem aufregenden musikalischen Dialog. In einem Frage- und Antwortspiel zeigten sie gleich alle Register ihres Könnens. Lockwood wirbelte mit dem kunstvoll eingeteilten Bogen über die Saiten, fügte Arpeggien und Flageolett-Spiel, gelegentlich auch “dirty notes” ein, Luc zeigte mit Griffhand und Fingern sein aufsehenerregendes Können. Ihr gemeinsames Spiel ist von Witz und höchster Perfektion geprägt. Mal imitiert die Geige Balkon-Folklore, mal hört man barocke Sequenzen, der Gitarrist zitiert die Marseillaise. Immer wieder klingen auch die Erinnerungen an Django Reinhardt und Stéphane Grappelli durch. Denn diese beiden haben den Grund zu dem gelegt, was die Hörer in Neuenhaus vorgeführt bekamen.
Die europäische Sonderform des Jazz, die Reinhardt und Grappelli in den dreißiger Jahren mit ihrem Quintett des “Hot Club de France” ausprägten, ist im Grunde ohne Nachwirkungen geblieben. Aber der Kenner dieser Musik wird sie immer im Ohr haben. Und Lockwood ist durch Grappelli zu dem geworden, der er heute ist. Deshalb zollte er gemeinsam mit Luc diesen Heroen ihren Tribut, ausdrücklich mit Reinhardts “Nuages”. Und wie beim Hot Club de France bildet der Swing den Untergrund ihres Musizierens. Aber die beiden spielen dabei eine Musik, die weit über die im Grunde beschränkte Welt der damaligen Zeit hinausreicht.
Was Lockwood und Luc heute vorführen, sind technisch vollendet Fantasien über alte Themen. Die beiden Musiker haben Erfahrungen mit allen klassischen und Jazzstilen gemacht und verwenden diese in so virtuoser Weise, dass die Zuhörer nicht immer folgen können. Denn ihr Zusammenspiel ist nicht nur überaus kunstvoll, sondern verlangt auch dem Hörer ein Höchstmaß an Konzentration ab. Das ging bis an die Grenzen der Überforderung, man spürte es an dem schwächer werdenden Beifall zu Beginn des zweiten Teils des Konzertes. Aber erfahrene Profis wie Lockwood und Luc wissen das, und so gelang es ihnen denn auch, das Publikum immer wieder einzufangen. Besonderen Beifall erhielten die Titel “Illuminations”, “In A Sentimental Mood” und “I got Rhythm”. Da führten sie gelungene Durchdringungen des Themas durch. Gelegentlich dekonstruieren sie die Titel, improvisieren auf höchstem Niveau, schließen aber danach immer wieder den Kreis zum thematischen Ausgangspunkt. Ihnen sind eben die vielfältigen Traditionen von Jazz und Klassik in Fleisch und Blut übergegangen.
Und die beiden Musiker haben ihren Vorbildern gegenüber erweiterte Möglichkeiten. Die elektronische Verstärkung erlaubt Luc, seine Gitarre wie ein Orchester klingen zu lassen, und Lockwood kann wundersamer Weise sogar eine Bassbegleitung dazu auf seiner Geige zupfen. Bei dem Staunen erregenden Miteinander muss man sich klarmachen, dass die beiden kein ständiges Duo bilden. Ein Blick auf Lockwood Tourplan, zeigt, dass er in Frankreich fast täglich mit wechselnden Ensembles musiziert. Umso erstaunlicher ist es, wie sehr die beiden sich gewissermaßen blind verstehen, einander die musikalischen Bälle zuwerfen und keinerlei Bruch aufkommen lassen.
Dem begeisterten Beifall wollten beide, die sich auch im Provinzforum durchaus wohlzufühlen schienen, mit einer Zugabe danken. Aber da hüpfte plötzlich Heino Sluet auf die Bühne und mischte sich mit seiner Bluesharp ein. Sein gelungener Dialog vor allem mit Sylvain Luc machte dem Publikum großen Spaß, ließ aber den großen Didier Lockwood zu Unrecht ein wenig in den Hintergrund treten.