Da standen sie tatsächlich auf der Bühne des Lise-Meitner-Gymnasiums. Andreas Staier, weltbekannter und vielfach preisgekrönter Pianist, Meister des Hammerklaviers und des Cembalos. Und die Ausnahmegeigerin Isabelle Faust, deren Interpretation der Bach-Solowerke bei den diesjährigen Salzburger Festspielen die “Süddeutsche” zu der Überschrift “Nicht von dieser Welt” veranlasste. Neben ihnen nicht das angekündigte Hammerklavier, sondern ein perfekt restaurierter Bläthner-Flügel aus dem 19. Jahrhundert. Das umjubelte Konzert war ein neuer Höhepunkt in der an Höhepunkten nicht armen Geschichte des Kulturpasses Neuenhaus.
“Empfindungen” hieß das erste Stück des Duos, “Clavier-Phantasie mit Begleitung einer Violine fis-moll” von Carl Philipp Emanuel Bach. Es war zugleich der programmatische Titel des ganzen Abends. “Der Musicus gibt den Zuhörern seine Empfindungen zu verstehen und bewegt sie solchergestalt am besten zur Mit-Empfindung” hatte der Komponist selbst sein Verfahren beschrieben. In diesem Werk freilich bewegt diese “Mit-Empfindung” nicht allein das Publikum, sondern vor allem die Duopartnerin. Staier gestaltet eine vielfältige, wie eine spontane Improvisation wirkende, freie Form mit unterschiedlichsten Wirkungen. Äußerst sparsam nimmt Faust einzelne von deren Elementen auf, spielt fast nur auf den tiefen Saiten, lenkt auf diese Weise immer wieder zurück zum Klavierpart und inspiriert Staier neu.
Auch Mendelssohns “Lieder ohne Worte” drücken musikalische Empfindungen aus. Faust und Staier musizierten drei Stücke aus deren Duo-Bearbeitungen von Friedrich Hermann. Das bekannteste dieser kleinen Meisterwerke, op. 62,6, “Frühlingslied” genannt, lässt die Melodiestimme über begleitenden Arpeggien schweben. Isabelle Faust gestaltete sie, frei jeder Sentimentalität, herrlich transparent. Einen starken Kontrast dazu bildete das Presto agitato op. 53,3. Hier dominierte die Violine mit ihren eindringlichen Doppelgriffen den Klang. Dagegen führte das Andante espressivo op. 62,1 wieder zurück in den Bereich des Lyrischen mit schwebender gesanglicher Geigenmelodie über Sechszehntelnoten des Klaviers.
Beethovens “Klaviersonaten mit Violinbegleitung” fristen im Bewusstsein der Musikliebhaber ein Schattendasein. Völlig zu Unrecht, wie man aus Andreas Staiers und Isabelle Fausts mitreißender Gestaltung der Nr.10 G-Dur erfahren konnte. Aufs Wunderbarste ergänzen die beiden einander bei ihrer Interpretation. Die Violine trägt die Piano-Einleitung des Allegro moderato vor, bruchlos wird es vom Klavier aufgenommen, ehe sich ein fließendes Zusammenspiel beider Instrumente entwickelt, dessen Dynamik überwiegend verhalten bleibt. Leider störte Zwischenbeifall die Struktur des Werkes denn ebenso verhalten wie der Eingangssatz schließt, setzt das Klavier zum liedhaften Adagio espressivo ein, das von der Violine aufgegriffen und gemeinsam weiter ausgestaltet wird. Attacca beginnt das rhythmisch-synkopische Scherzo, das ein feines Trio umschließt. Einen Höhepunkt kammermusikalischen Zusammenwirkens bildet das abschließende Finale. Es besteht aus mehreren kleinteiligen Variationen, die unterschiedliche kompositorische Verfahren zeigen und von beiden Interpreten mit den ganzen Fällen ihres musikalischen und technischen Könnens das aufmerksam lauschende Publikum spürbar gefangen nehmen.
Auch Schumanns Phantasie für Violine mit Begleitung des Pianofortes ist ein wenig bekanntes Werk. Schumann hat es gegen Ende seiner Schaffenszeit für den großen Geiger Joseph Joachim geschrieben. Diese Komposition spricht weniger die Empfindungen des Hörers an. Vielmehr ist es ein virtuoses, fast kantiges Stück, in dem vor allem das technische Können der Geigerin gefragt ist. In beeindruckender Weise gestaltete Faust mit ihrer vollkommenen Bogenführung die geforderten Höchstschwierigkeiten, während Staier den symphonischen Begleitsatz sensibel unterlegte.
Zum Abschluss des Konzertes erklang Brahms’ letztes Kammermusikwerk, die ursprünglich für Klarinette geschriebene Sonate Es-Dur op. 120/2. Vor einem Jahr hörte man in diesem Saal die Originalfassung, gespielt von Sharon Kam und Katia Skanavi. Jetzt demonstrierten Isabelle Faust und Andreas Staier, wie authentisch dieses Werk auch in der Fassung für Violine und Klavier wirkt. Fesselnde Sensibilität des Melodieinstrumentes und eine aufsehenerregende Dramatik der komplizierten Klavierbegleitung prägten die Gestaltung der drei Sätze.
Der tief beeindruckende Konzertabend der beiden großen Musiker wurde vom zahlreichen Publikum mit außerordentlich starkem Beifall beantwortet.
In seiner Begrüßung hatte Michel Sauvadet geäußert, er empfinde es immer wieder als Wunder, dass so große Musiker wie jetzt Isabelle Faust und Andreas Staier im kleinen Neuenhaus auftreten. An diesem Wunder hat Sauvadet selbst allerdings schon lange einen großen und dankenswerten Anteil.