Jan Garbarek & Group

Vier weite Reisen durch die Welt der Musik

Dass das Gastspiel von Jan Garbarek in Neuenhaus der Saisonhöhepunkt der Kulturpass-Initiative werden würde, war spätestens während des Vorverkaufs abzusehen. Dass die Sitzplätze in der Aula des Gymnasiums bei weitem nicht ausreichten für die rund 600 Zuschauer und die beteiligte Bürgergemeinschaft Emlichheim eine Tribüne aufbauen musste, damit hatten die Veranstalter nicht gerechnet.

Die Bühne war mit Tüchern und Seilen ausgekleidet, die durch eine gekonnte Lichtregie in unterschiedlichen Farben strahlten oder schimmerten. Ebenso gelungen war die Klangtechnik, die das Miteinander der Instrumente auf den erweiterten Zuschauerraum Raum übertrug. Jan Garbarek, Marilyn Mazur, Rainer Brüninghaus und Eberhard Weber musizieren seit Jahren zusammen und können einander blind vertrauen.

Das zeigt sich am besten, wenn nach Abschluss eines Solos ein anderer Musiker den musikalischen Faden aufnimmt und weiter spielt. Garbarek ergänzt Webers Bass-Solo durch intensives Spiel auf einer exotischen Flöte und reguliert den Ton allein mit der rechten Hand. Mazur setzt Garbareks entrücktem Spiel durch den unerwarteten Anschlag eines einzelnen Glöckchens ein neues Licht auf. Es machte aber die Faszination des Abends aus, dass dieses Zusammenspiel an keiner Stelle einstudiert wirkte.

Das Konzert besteht insgesamt aus nur vier Titeln von je etwa 20 Minuten Länge. Aber jeder dieser Titel ist eine weite musikalische Reise. Im Anfangsstück beginnt der asketisch wirkende Garbarek auf dem Sopransaxophon mit einer fremdartigen Sequenz, entwickelt sie gemeinsam mit den Begleitern weiter, vertieft sich in dessen Einzelelemente, verwandelt sie und meditiert sie neu. Plötzlich sind Free-Jazz-Glissandi daraus geworden, die am Ende in eine alteuropäische Balladenmelodie münden. Dabei trifft sein Ton, der auch auf dem Tenor aus tiefer Versenkung geschaffen wird und durch keine Begrenzung des Atems gehemmt wird, in unnachahmlicher Weise nicht nur das Ohr des Zuhörers, sondern seine gesamte Existenz.

Auf suggestive Weise gebannt verfolgte das Publikum das Zusammenspiel auf der Bühne, kaum jemand nahm die Umgebung wahr, viele zeichneten mit dem Körper die Rhythmen nach. Das ist Musik an der Grenze zur Esoterik.

Eberhard Weber begleitet auf einem, selbst gebauten “semiakustischen” Bass. Griffbrett, Wirbelkasten und Bespannung entsprechen dem Kontrabass, doch der Korpus ist verkleinert und die elektronische Tonabnahme erfolgt am Steg. Weber sorgt für den rhythmischen Grund, wobei die Rhythmen in ihrer komplizierten Struktur oft kaum zu verfolgen sind. Dabei zupft er auch Gegenbewegungen zur Melodiestimme, streicht neue Melodien, lässt an den Grenzen des Griffbretts ans Cello und gar an die Geige denken. Die Virtuosität seines langen Solos, in dem er sich mit dem Verstärker selbst begleitet, nimmt einem fast den Atem.

An Keyboard und Flügel legt Rainer Brüninghaus in gewohnt souveräner Weise die Grundlage des Gesamtklangs der Gruppe. Immer lässt sich Garbarek von seinen akkurat angeschlagenen Harmonien und Leittönen neu zu seinen Soli inspirieren. Auch Brüninghaus ist ein Meister der Klangmetamorphosen Sein Klaviersolo beginnt wie eine Haydn-Sonate. Daraus entwickeln sich rhythmische Sequenzen wie in der Minimal Music. Sie nehmen Elemente des Ragtime und des Boogie-Woogie auf. Schließlich klingt der Flügel wie eine Bass Drum, der Luft und Boden zum Schwingen bringt. Die Perkussionistin Marilyn Manzur gibt mit ihren vielen verschiedenen Instrumenten der Gruppe nicht nur den Rhythmus, sondern sie setzt die Gongs, Glocken und Trommeln auch melodisch ein. Mazur wirbelt zwischen ihnen hin und her, kriecht gar auf dem Boden und erzeugt immer wieder Effekte, die perfekt zum Klang der ganzen Gruppe passen. Ihr erstes Solo auf dem Drumset, erfuhr beim Publikum in seiner konventionellen “Immer feste druff”- Manier zwar Anerkennung. Von den Sitzen riss es die Zuhörer aber noch nicht.

Ihr zweites Solo, in dem sie auf den edleren und leiseren Teilen ihres Riesensets wirbelte, und das auf eine Weise die Staunen erregte, ehe sie zur Trommelvirtuosität überging, löste dagegen einen spontanen Begeisterungssturm aus. Begeisterung schlug der Jan Garbarek Group nach jedem Stück entgegen, eine Begeisterung, die wohl den Rahmen des Gewohnten überstieg, denn dass sich die Musiker in Neuenhaus nach der Standing Ovation nicht nur mit einer, sondern mit zwei Zugaben bedankten, ist nach Aussage von Kennern der Szene durchaus nicht üblich.

Text: Jörg Leune, Fotos: Gerold Meppelink