Zum Auftakt des Kulturpass-Programms trat das Juilliard String Quartet am Freitag in der Aula des Lise-Meitner-Gymnasiums in Neuenhaus auf. Das Streichquartett aus New York begeisterte mit fulminanter Spieltechnik
Auf triumphale Weise eröffnete der Kulturpass Neuenhaus am Freitagabend sein diesjähriges Jubiläumsprogramm. Zu Gast in der Aula des Lise-Meitner-Gymnasiums war das weltberühmte Juilliard String Quartet aus New York. Auf ihrer Europatournee gastierten die Musiker zwischen Auftritten in Wien und Amsterdam tatsächlich in der Niedergrafschaft.
Das seit sechzig Jahren bestehende, mit unzähligen Preisen ausgestattete Quartett besteht derzeit aus Joseph Lin und Ronald Copes (Violinen), Roger Tapping (Viola) und Joel Krosnick (Violoncello). Die Reaktion des zahlreichen Publikums darf man getrost als enthusiastisch bezeichnen. Donnernder Beifall und Bravo-Rufe am Schluss zeugten davon. Trotz der etwas heiklen Akustik des Bühnenraums der Aula waren sowohl die Einzelstimmen wie auch der Gesamtklang des Ensembles stets gut vernehmbar.
Das Konzert begann mit Beethovens frühem Quartett op18, 2 G-Dur. Musikhistorisch steht dieses Werk noch dem Rokoko und Beethovens Vorbildern Haydn und Mozart nahe. Es wurde wegen seines galanten Charakters auch als “Komplementierquartett” bezeichnet. Im Vortrag des Juilliard-Quartetts gab es aber kaum eine Erinnerung an das Rokoko. Mit großem Feuer und mit extrem herausgearbeiteten dynamischen Abstufungen wurden die vier Sätze musiziert.
Im ersten und vierten Satz wurde die Sonatenform jederzeit klar herausgearbeitet. Das beseelte Adagio cantabile wird durch ein unerwartetes schnelles Allegro unterbrochen. Dabei gelingt es den Musikern, genau die Waage zwischen den unterschiedlichen Tempi zu halten. Auffällig das Engagement des ersten Geigers Joseph Lin, der seinen Spielfiguren jederzeit auch körperlich Ausdruck verleiht und durch einen wunderbaren Ton und extreme Präzision besticht. Aber sein Partner Ronald Copes ist ihm musikalisch ausgesprochen gleichwertig, wie sich im motivischen Wechselspiel der beiden Violinen zeigt, in das nach und nach die beiden tiefen Instrumente bruchlos einbezogen werden.
In ganz andere musikalische Bereiche wurden die Zuhörer mit dem 2013 entstandenen Quartett “Whereof Man cannot speak” des fünfunddreißigjährigen Komponisten Jesse Jones geführt. Der Titel bezieht sich auf Wittgensteins berühmten Schlusssatz “Wovon man nicht reden kann, davon muss man schweigen”. Der Komponist erlebte während der Arbeit an diesem Werk den Tod seiner Mutter. So entstand eine musikalische Trauerarbeit mit den Phasen „stille Trauer“, „spielerische Erinnerungen“, „sehnsuchtsvolles Schwärmen“, „Niedergeschlagenheit und Wut“, „Frieden und Akzeptanz“. Diese unterschiedlichen Phasen werden mit allen heutigen musikalischen Mittel gut nachvollziehbar gestaltet. Auf den Beginn mit einer Minimal-Music-Spielfigur des Bratschers Roger Tapping legen die Partner dissonante Klangflächen. Die Emotionen des Werkes werden durch Glissandi, Arpeggien und arrhythmische Gegenbewegungen der tiefen Instrumente befördert. Gelegentlich tauchen überraschende Sequenzen traditioneller Harmonik auf, vielleicht Zitate vertrauter Werke. Wenn das Quartett mit gläsernen Flageolett-Tönen schließt, hat man das Gefühl, einen ganzen Kosmos durchschritten zu haben. Während der Aufführung herrschte im Saal absolute Totenstille. Eine Besucherin sagte, sie habe sich durch diese Musik förmlich angesogen gefühlt.
Nach der Pause erklang dann Schuberts großes G-Dur-Quartett, eine alle Grenzen sprengende Komposition, die man als absolute Musik bezeichnen kann. Hier musizierten die vier in beglückende Weise völlig gleichberechtigt miteinander. Das Werk changiert zwischen Dur und Moll, zwischen Pianissimo und Fortissimo. Kaum sind die Themen zu identifizieren, immer wieder verschwinden sie in flirrenden Geigenfiguren, wie das zweite Thema des ersten Satzes, das Cello und Bratsche anstimmen. Zwischen Licht und Schatten pendelt der zweite Satz Andante hin und her. Im Trio des Scherzos ist Krosnicks Cello die Schönheit anvertraut, die dann auch in den rhythmischen Glanz der hohen Stimmen ausstrahlt. Im Finale dominiert endlich das Thema, wird zwar von düsteren Schatten bedrängt, setzt sich aber schließlich im G-Dur – Schluss siegreich durch. Noch einmal zeigte das Juilliard String Quartet in diesem monumentalen Werk seine wunderbare Einheitlichkeit des Musizierens.
Für den großen Beifall, den die Musiker gelöst und strahlend entgegennahmen, bedankten sie sich mit Bachs Contrapunctus I aus der “Kunst der Fuge”.
Hier blieb die fulminante Spieltechnik der Vier im Hintergrund. Sie stellten sich ganz und gar in den Dienst dieser großen Komposition, ein großes musikalisches Erlebnis.