Tim Fischer hat am Sonntag sein Publikum in Neuenhaus mit einem abwechslungsreichen Konzert unterhalten. Dabei bestach er die rund 250 Gäste mit androgynem Charme. Er schlüpfte auf der Bühne in verschiedenste Rollen.
Mit einem schillernden Programm, anlässlich seiner 25 Jahre andauernden Bühnenkarriere, glänzte der bundesweit erfolgreiche Chansonnier Tim Fischer bei seinem dritten Auftritt als Gast der Neuenhauser Kulturpass-Initiative. Diese wiederum feierte unter anderem mit diesem Konzerthöhepunkt ihrerseits ihr 25-jähriges Bestehen. Mit androgynem Charme bestach Fischer sein etwa 250 Zuschauer zählendes Publikum, interpretierte zahlreiche eigene, aber noch mehr Lieder aus fremder Feder, darunter große zeitgenössische Namen wie Udo Lindenberg und Ludwig Hirsch, aber auch Klassiker des deutsch- und französischsprachigen Chansons wie Jacques Brel, Georg Kreisler oder Zarah
Hinter den Liedern aus eigener Produktion verbirgt sich oft der Liedtexter und Komponist Rainer Bielfeldt, mit dem Tim Fischer bereits jahrzehntelang innig verbunden ist, wie auch des Öfteren offen auf der Bühne demonstriert wird. Das Bahnfahren dient dabei den Songs aus eigener Produktion mehrfach als Zugpferd für jene für Fischer typischen hintergründig skurrilen, oft selbstironischen und frivolen Blicke auf unsere Gegenwart, wie etwa beim eingangs präsentierten Song “Wir fahren mit der Bahn”. Ein Lied über deutsche Verwirrung und Stillstand, denn bei dieser Bahnfahrt von Bielefeld nach Hannover will es kaum vorwärts gehen. Das französische Pendant vom “Hauptbahnhof von Paris” dagegen ist ein Feuerwerk aus Geschäftigkeit, Lebensfreude und Sinnlichkeit. Andere Darbietungen sind unzweideutig im Umfeld des Rotlichtmilieus und der Prostitution angesiedelt, wie die “Bekenntnisse einer Stripteasetänzerin” oder “Kauf dir eine Frau”. Fischer genießt dabei die laszive Selbstinszenierung. Oft effektvoll durch eine gelungene Lichtregie und durch Studionebel unterstützt, die ihn und Thomas Keller, den dritten Mann im Bunde an Akkordeon und Sopransaxofon, oft nur noch als vage Umrisse erkennen lassen oder aber auch gezielt fokussieren. Verspielt wechselt Fischer die Geschlechterrollen, bietet sich selbst als Lustobjekt an oder schlüpft etwa selbst quasi in die machohafte Zuhälterrolle. Dass er gerade im Kontext derartiger Lieder von seinem politischen Bewusstsein spricht, muss provozieren, aber Fischer gelingt es auch hier, sein Publikum auf charmante Weise zu umgarnen.
Das Thema Liebe lotet Tim Fischer auf gründlichste Weise aus.
So variabel sein Bühnenauftritt und die Rollen, in die er jeweils schlüpft, umso stärker changiert Fischers Stimme, mal berlinert er, verfüllt kurz in einen abgeschmackten proletenhaften Tonfall, etwa bei der vertonten Version des Gedichtes “Angebot ohne Nachfrage” von Erich Kästner, um dann wieder mit dramatischer stimmlicher Geste, umso stärker den großen Chansonnier von Welt zu mimen, der auch des Französischen mächtig ist. Dem Original zum Verwechseln ähnlich gelingt ihm die Interpretation des Zarah-Leander-Evergreens “Nur nicht aus Liebe weinen” mit dem für sie typischen rollenden “R”.
Im Laufe des Abends wird deutlich, wie weitreichend Fischers Freundschaften innerhalb der deutschen Musikszene sind. Wie reichhaltig der musikalische Fundus ist, aus dem er schöpft, wobei sein besonderes Interesse offenbar auch der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt, erkennbar an so bekannten Namen wie Kurt Tucholsky, Mascha Kaléko oder Friedrich Hollaender. Das Thema der sinnlichen, auch der ehelichen Liebe wird dabei auf gründlichste Weise ausgelotet, ob nun mit zärtlichen Liebeserklärungen, mit der lyrischen Analyse gescheiterter Beziehungen, etwa in “Die geschiedene Frau” oder auch mal mit markanten Sprächen wie “Die Axt im Haus erspart die Goldene Hochzeit”. Dabei erscheint Fischers eigener Song “Schöner war’s mit dir”, der auch als eine Aufarbeitung eigener Drogenprobleme anzusehen ist, nicht nur als wehmütiger Rückblick auf vergangene großartige Tage, sondern letztlich auch wie ein nachdrückliches Bekenntnis zu einem lustvollen, bewusst unvernünftigen Lebensstil.
Dass er dabei aber auch ein wenig an diejenigen denkt, die im Schatten von westlichem Glamour und gewissenlosem Genuss dahinzuvegetieren verdammt sind, beweist am Ende des Konzerts sein geschickt moderierter Einsatz für ein Projekt, das mittellose Aids-Opfer im Endstadium in Zimbabwe unterstützt.