“Die Kabarettbesucher sind fast so alt wie die Kabarettisten.”” Mit diesem resignativ klingenden Satz beschreibt Georg Schramm die aktuelle Krise dieses Kleinkunstgenres. Aber wie bei allen seinen brillant formulierten Sätzen kann man nicht sicher sein, ob er das wirklich meint. Die Bemerkung könnte auch aus der Perspektive der scheinbar arrivierten Comedy – Spaßmacher lanciert sein, deren Zuschauerquoten schon länger auf dem absteigenden Ast sind, und die doch an jedem TV-Wochenende so tun, als hätten sie das noch nicht gemerkt.
Schramm hingegen versprach am Donnerstagabend den 350 Zuhörern des Kulturpasses Neuenhaus keinen lustigen Abend, sondern er verhieß Nachdenklichkeit, die auch gelegentlich heiter werde. Und wenn er sich mit dem Bonmot “Wir sind die Griechen der Römer” charakterisiert, des unterlegenen Volkes also, das der Militär- und Bürokratiemacht Rom immer wieder die Kultur in Erinnerung rief, dann zeigt er damit: Hier ist ein Aufklärer am Werk, und wehe dem Volk, das solche Aufklärung nicht zu brauchen meint.
Schramms Aufklärung ist wie alle echte Aufklärung hochpolitisch. Und gerade deshalb schweigt er in seinem Programm “Mephistos Faust” fast durchweg von Schröder, Bush, Reform- und Weltpolitik. Stattdessen legt er offen, was politisch wirklich wichtig ist. Dazu nutzt er seine traditionellen Rollen, den Preußen Lothar Dombrowski mit dem Lederhandschuh, den Oberstleutnant Sanftleben und den in der Meeresstille des baldigen Ruhestands angekommenen hessischen Alt-Gewerkschafter August.
Deren Monologe zeugen von ungeheurer Sprachgewalt und ausgeprägter Schauspielkunst. So glaubt man jedes Mal, einen anderen Akteur auf der Bühne zu erleben, und gelegentlich führen diese unterschiedlichen Akteure sogar Dialoge miteinander. Jeder dieser Monologe saugt den Zuschauer förmlich auf. Bei der Rolle des Offiziers muss er sich wirklich dagegen wehren, dessen Suada zu verfallen, sonst denkt er am Ende selbst, es habe zu lange gedauert, bis in Deutschland die Militärpolitik wieder ein wesentlicher Faktor der Außenpolitik geworden sei.
Ähnlich überzeugend legt Sanftleben im Suff dar, die Bundeswehr sei die wahre Schule der Nation, besonders für deren rechten Rand. Und vollends irritiert ist man, wenn Schramm in gespielter autobiographischer Authentizität sich selber inszeniert und dem Publikum weiszumachen versucht, die wiederholte Rezitation des Satzes “Ich bin ein geborener Sieger” vermöge die Funktion eines verlorengegangenen Glaubens auszufällen und der “Warum nicht?” -Typ sei dem “Ja, aber”-Typ vorzuziehen. Dieser doppelbödige Appell legt in meisterhafter Weise die Hohlheit des Konzepts “Managementtraining als Heilslehre” bloß.
Einer der dramatischsten Momente des Programms ist der Dombrowski-Monolog über den Balkankrieg, denn hier wird am Beispiel der bestialischen Morde von Srebrenica unter dem Schutz europäischer UN-Truppen deutlich, wie Europa hier seine heiligen Ideale verraten hat und nicht den geringsten Grund hat, sich über die USA zu erheben, das denselben Idealen seine Gründung verdankt.
Den eindrucksvollen Schlusspunkt des Abends setzte der August-Monolog. Anschaulicher kann der Weg der deutschen Sozialdemokratie ins neue Jahrtausend kaum beschrieben werden als in diesem Lebensrückblick des alt gewordenen Aktivisten der einstigen Elite-IG Druck und Papier. Für ihn waren deren Kundgebungen Lebenshöhepunkte, die Ortsvereinssitzungen der Partei Familienersatz. Und nun, mit Erinnerungsurkunde und Geldzuwendung vom Chef ausgestattet, ist es auch gut so. Eine neue Technik ist da, Drucker werden nicht mehr gebraucht, der Rentner wird die Idylle genießen. Arbeitskämpfe wird es nicht mehr geben, ein neues Blatt der Geschichte ist aufgeschlagen, vielleicht sogar das Blatt vom Ende der Geschichte.
Der Abend mit Georg Schramm im Neuenhauser Schulforum war ein Höhepunkt in der Geschichte des Kulturpasses, nicht nur wegen der Rekordzahl an Zuschauern. Auch für den Künstler selbst war es kein beliebiger Abend auf einer langen Tournee. Er sei nicht in bester Verfassung in Neuenhaus angekommen, sagte er nachher, aber die Show sei eine seiner besten geworden, weil der Kontakt zum Publikum so überaus gut gewesen sei. Diesmal hat Schramm es sicher so gemeint, wie er es gesagt hat.