Hagen Rether

Spott und Blasphemie mit Tiefgang. Zum Gastspiel Hagen Rethers in Neuenhaus

Etwa 400 Besucher im ausverkauften Neuenhauser Schulforum haben am Freitagabend den Essener Kabarettisten mit seinem Programm “Liebe” erlebt. Auf Einladung der Kulturpass-Initiative spottete er drei Stunden lang über Medien, Politik, Kirche und Wirtschaft und über die Auswüchse der Konsumgesellschaft.

Das Bühnenbild ist spärlich: ein Flügel, ein Bürostuhl, vier Bananen. Wer nun jedoch Musikkabarett erwartet, wird enttäuscht. Es dauert (leider) geschlagene eineinhalb Stunden, bis der ausgebildete Konzertpianist Hagen Rether die erste Taste anschlägt. Zuerst muss das Instrument gewienert werden. Mit Lappen und Politur bringt er es auf Hochglanz. Unterdessen lästert er charmant über die Kulturhauptstadt Ruhrgebiet mit ihren “grün und blau beleuchteten Schloten”.

Doch dann kommt Rether schnell zur Sache. Seitdem er 2003 mit seinem Programm “Liebe” auf Tournee ging, gehört George W. Bush zu seinen Lieblingsfeinden. In diesen Tagen wundert ihn die Aufregung in den Medien über das vier Jahre alte Irak-Video, in dem “Amis in Bagdad auf echte Menschen schießen”.

Die Folgen der Finanzkrise bringt er auf eine einfache Formel: “Al Kaida jagt Häuser in die Luft, Banker dagegen Systeme”. Doch ganz ungeschoren kommt auch das Publikum nicht weg, war es doch “die Gier der Anleger, die zum Crash führte”. Brillant analysiert er, wie die Mechanismen der Medien ineinandergreifen und das Volk manipuliert wird. “Statt Verantwortung zu übernehmen, suchen wir uns Sündenböcke”, stellt Rether fest. Beispiele: Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel, “wie ein Mörder im Vorgarten abgeführt” oder, “jeweils zum Quartalsende im Spiegel-Interview”, Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann. So lenkt man von den wahren Problemen ab. Oder alljährlich im November die Bilder von den Anti-Castor-Demonstranten, “die uns selbst vom Demonstrieren abhalten sollen”, wie Rether meint. Seine Empfehlung: “Wir müssten viel weniger ertragen, wenn wir uns mal trauen würden zu denken.”

Einer der nachdenke und immer Recht habe, sei Oskar Lafontaine, und das meint Rether diesmal nicht ironisch. Nur sei Lafontaine eben mit dem Makel linker Populist belegt. Und dann diese Angst vorm Stalinismus in Person der Linken-Politikerin Sarah Wagenknecht! Wieder so eine mediale Inszenierung. Rechte Populisten wie Koch, Öttinger oder Rüttgers hätten es dagegen leichter. Sie würden einfach von der Gesellschaft wegtoleriert. Und die FDP? “Bauchrednerpuppen der Industrie”. Mehr Worte braucht Rether über die Liberalen nicht zu verlieren. Nach Abstechern in den Energiesparlampenirrsinn und die Frauendiskriminierung kommt Rether zu seinem Lieblingsthema: die katholische Kirche im Allgemeinen und den Papst im Besonderen. Als “Spaßreligion für alte Männer” geißelt Rether den Katholizismus und Benedikt XVI. als “Abwatscher Gottes”. Die Kirche sei ein “in sich geschlossenes System zur Vermeidung kognitiver Inkontinenz” sprachwitzelt er. Der Mensch brauche gar keine Religion. Nett sein zueinander, Demut vor der Schöpfung und Nächstenliebe: “Mehr braucht man nicht”, empfiehlt der Kabarettist.

Rether ist kein Menschenhasser sondern ein Menschenfreund. In seiner Grönemeyer-Parodie “Frauen” analysiert er Stärken und Schwächen des “schwachen Geschlechts” genauso treffend wie einst der Barde aus Bochum die Muskeln und Macken der Männer. Rether fordert Toleranz statt Integrationszwang für Türken und ein Ende der Doppelmoral beim Krieg in Afghanistan. Dabei bleibt er stets sympathisch, wenn er selbstironisch mit der Länge seines Programms kokettiert.

Wer Hagen Rether einlädt, braucht Mut, denn diesem Mann ist nichts heilig. Er ist politisch absolut unkorrekt und blasphemisch und verschont auch das Publikum nicht vor seinem Spott. Aber genau das macht ihn so einzigartig in seiner Zunft.

Text: Daniel Klause, Fotos: Gerold Meppelink