Hanns Dieter Hüsch

Hüschs Kabarett zum Nachdenken. Urgestein des deutschen Kabaretts eröffnete Kulturpass-Saison 2000 in Neuenhaus

Die Kulturpass – Saison 2000 in Neuenhaus ist eröffnet. Vergangenen Dienstag fand in der Aula des Schulzentrums die erste Veranstaltung statt. Programmkoordinator Michel Sauvadet hatte sich dafür einen ganz besonderen Eisbrecher ausgesucht: Hanns Dieter Hüsch, ein Urgestein der deutschen Kabarettbühne. Und er konnte seine Erwartungen voll erfüllt sehen, mehr als fünfhundert Zuschauer füllten den Saal bis auf den letzten Platz.

Hanns Dieter Hüsch gehört seit Jahrzehnten zum deutschen “”Brettl”” fast wie ein Inbegriff des Kabaretts selbst. Mit seiner eigenen Person steht er dafür als kreativer und unverwechselbarer Solist, in vielen Schlachten erprobt, bewährt und vielfach ausgezeichnet. Aber er ist auch ein wichtiger Förderer der ganzen Kunstsparte, z. B. mit seiner Halberg-Sendung “”Gesellschaftsabend””, die bald in die 200. Runde geht.

Das Publikum im Saal erwartet ihn. Endlich schließen sich die Türen, Bühnenlicht. Der Protagonist betritt die karg ausgestattete Bühne. Betritt? Er erkämpft sich den Weg zu seinem Platz, sichtlich gezeichnet von den lebenzehrenden Attacken einer erst kürzlich eingedämmten Krebs-Erkrankung. Ein paar leichthin eingestreute Hexameter stimmen das Publikum ein, machen aber auch ihm den Weg gangbarer und kürzer. Am Platz angekommen hat er seinen Platz wiedergewonnen, präsent und raumgreifend. Ist es noch der alte Hanns Dieter Hüsch? Er ist es, doch vieles ist anders geworden. Das atemlose Tempo, das einst seine Wortkaskaden kennzeichnete, hat sich verlangsamt, das Scharfe und Bissige ist abgemildert, die Themenpalette ist anders austariert. Manches fehlt, doch wie viel hat er dazugewonnen!

Er verbirgt seine Erkrankung nicht, baut sie in sein Programm ein, das insgesamt viel autobiographischer geworden ist. Und so wird er dem Publikum an diesem Abend einiges über Sterben und Leben, über Verzweifeln und Hoffen zum Nachdenken servieren. In der Geschichte vom Heiligenschein überschreitet er leichtfüßig die Grenzen zwischen Blödelseligkeit und Ernst, so als ginge es nicht um ihn selbst. Wussten Sie schon, dass der hebe Gott mit gebrauchten Heiligenscheinen handelt? Dass man Heiligenscheine an- und abschalten kann, die Luxusausgabe sogar dimmen? Aber haben Sie auch daran gedacht, unter welchen Bedingungen man einen bekommt? Das Publikum hat es an diesem Abend erfahren.

Schon das Generalthema “”Wir sehen uns wieder”” ist in seiner Vieldeutigkeit typisch Hüsch. Da kann man so viel hineinpacken und heraushören: versteckte Drohung und Freude über den gerade noch vermiedenen Schritt ins Leere, eine immer wieder strapazierte und doch niemals völlig abgenutzte Ehegattenliebe ebenso wie ganz unprätentiös die Beziehung zwischen einem alten Barden und seinem treuen Publikum.

Das direkt Politische, Angreifende ist bei Hüsch fast ganz zurückgetreten. Doch er weiß auch warum. Natürlich kann er noch etwas zum Thema Korruption sagen, auch so, dass dem ‘Publikum das Lachen stockt. Aber er fährt es nicht weiter. Er hat es probiert, aber die Wirklichkeit war schlimmer als das, was er sich dazu ausdenken konnte. Doch er bleibt kritisch und politisch. Detailverliebt, bisweilen geradezu verbohrt, liefert er immer neue Skizzen der Gesellschaft, in denen wir gern die lieben Nachbarn und keineswegs immer gern uns selbst wiedererkennen.

In kunstvoll hergestellter Schein-Zufälligkeit webt er sein Netz und spannt es weit aus zwischen Klamauk und Spiel, Philosophie und Poesie. Und viele Perlen sind hineingewebt. Er schreibt einen Text, der erklären soll, was ein Gedicht ist – und der Text ist selbst schon ein Gedicht – Horaz lässt grüßen! Er erhebt ein VHS-Programm oder eine Seite mit Zeitungsannoncen zu witziger und erhellender Literatur. Er beschreibt einen Menschen in lauter Negationen, ohne destruktiv zu sein – umso deutlicher tritt die sokratische Frage hervor “”Was ist der Mensch?””. Besonders beeindruckt – in einfachen Reimen ein Gedicht über Christiane Vulpius, Goethes “”Bettschatz””. Mit einfachsten sprachlichen Mitteln gelingt es Hüsch, das Bett vergessen zu lassen und den Schatz zur Kenntlichkeit zu heben.

In “”Moers”” tritt sein Lebensthema deutlich hervor, die Kleinstadt als Mikrokosmos menschlicher Beziehungen. Eine Welt, die wir alle als eng und fesselnd empfinden, aus der wir uns herauszuträumen versuchen, und die wir doch weder verlassen können noch wollen, denn Bindungen, die nicht fesseln, gibt es nicht. Das ist das alte Pindar-Motiv, die Ephameroi-Klage des Menschen als Eintagswesen. Doch dürfen wir wenigstens träumen, dass das Leben noch mehr sein könnte.

Zum Schluss singt Hanns Dieter Hüsch, sich selbst an der Orgel begleitend, seinem Publikum noch ein Trostlied. Wie gerne würden wir ihm glauben, dass wir – wie Bär und Storch, Elefant und Ameise – irgendwann einmal nach Hause und bei uns selbst ankommen werden.

So beendet er einen witzigen, heiteren, beklemmenden, tröstlichen, besinnlichen, oft anrührenden Abend. Für den langanhaltenden Beifall bedankt er sich mit einem Fünfzeiler, einer Selbstbeschreibung, leicht, lapidar, hellsichtig:

 

Ich bin gekommen euch zum Spaß,

und gehe hin, wo Leides

ist und Freude,

und wo beides,

zu lernen Mensch und Maß.

Text: Franz Jürgen Wannenmacher