Iris Berben

Verbotene Texte beeindrucken 300 Zuhörer

Iris Berben erinnert in Neuenhaus an von den Nazis verfemte Autoren.

Die bekannte Schauspielerin Iris Berben war am Freitag mit einem ernsten Anliegen ins Forum des Lise-Meitner-Gymnasiums gekommen: Sie erinnerte vor knapp 300 Zuhörern an die oftmals vergessenen Werke jener Autoren und Komponisten, die von den Nazis verfemt und verboten wurden und auf diese Weise zum Teil bis heute in Vergessenheit gerieten. Mit Kurt Tucholsky, Bertolt Brecht, Stefan Zweig, und Joseph Roth waren gleichwohl auch literarische Klassiker mit im Programm.

Naturgemäß waren viele der Verbannten jüdischer Herkunft, doch thematisch deckten die vorgetragenen Texte weit mehr ab als die Diskriminierung jüdischen Lebens. Den Einstieg lieferte sie mit dem Vorwort aus den “Letzen Tagen der Menschheit” von Karl Kraus, der in diesem Panoptikum des Grauens an die unwirkliche Brutalität und abgrundtiefe Perversion des Ersten Weltkrieges erinnert.

Auch bei Bertolt Brechts Kurzgeschichte “Der Soldat von La Ciotat” geht es um das Trauma des Ersten Weltkriegs. Brecht lässt darin einen bei Verdun verschütteten Soldaten als so genannten Statuenmenschen in der Öffentlichkeit auftreten, der verletzungsbedingt so reglos wie eine in Stein gehauene Skulptur wirken kann. Brecht erhöht diesen Einzelnen zu einer tragischen Symbolfigur für die standhaft durchhaltenden Soldaten aller Zeiten, die willenlos ergeben den an sie ergehenden Befehlen gehorchen, ob zu Zeiten Alexanders des Großen, Hannibals oder Attilas des Hunnen.

Eine kritische Auseinandersetzung mit der Unkultur des Nationalsozialismus liefert Berben in dem von Kurt Tucholsky imaginierten und abschließend mit “sehr gut” bewerteten Schulaufsatz “Hitler und Goethe”. Darin lässt Tucholsky einen angeblichen Schüler in schlampigem Deutsch und mit deutlich lückenhaftem geschichtlichen Hintergrundwissen, aber mit ideologischer Linientreue und primitiven chauvinistischen Parteiparolen nachweisen, dass Goethe eben im Gegensatz zu Hitler ein Versager und auch kein echter Patriot gewesen sei, all das indessen unter Wahrung der damals gebotenen formalen Gliederung eines Aufsatzes in Einleitung, Erklärung, Beispiel, Beleg und Schluss.

Doch es war nicht nur die Sphäre des Politischen jener Tage, die Iris Berben da mit ihrer einfühlsamen Stimmgewalt wiederauferstehen ließ. In Stefan Zweigs “Geschichte in der Dämmerung” geht es vielmehr um die traum- bzw. alptraumhafte Erinnerung eines gerade erwachenden Mannes an die erotische Begegnung mit einer verführerischen Frau in der Nacht zuvor. Eindringlich und gar nicht in plakativ obszöner, sondern subtil psychologisierender Weise schildert der Text die seinen Willen ausschaltende Macht, die von dieser weiblichen Gestalt ausgeht und die berauschte Wehrlosigkeit, mit der er sich ihr hingab.

Viel tiefere Abgründe menschlicher Sexualität werden in Hermanns Kestens Text “Josef sucht die Freiheit” aufgetan, wenn aus der Sicht eines seinen 13. Geburtstag unter den verschärften Bedingungen der Wirtschaftskrise feiernden Jungen der Besuch seines Onkels geschildert wird. Ohne dass der Junge sich bei seiner Darstellung darüber im Klaren zu sein scheint, legt er Zeugnis ab über die offenbar kurz zuvor geschehene Vergewaltigung seiner Schwester Tinka durch den eigenen Onkel.

Heitere Zwischentöne gibt es indessen bei Auszügen aus Irmgard Keuns “Kunstseidenem Mädchen”, das ohne besondere literarische Schnörkel einem berlinernden Mädchen von 18 Jahren aufs Maul schaut, welches sich in der Welt der Großstadt behaupten will und munter drauflos plappernd von ihren ersten Erfahrungen in der Berufswelt und ihren realen oder angestrebten amourösen Beziehungen erzählt.

Den Abschluss gönnt Iris Berben dann den am meisten geschundenen Opfern des Nationalsozialismus, den Juden. In Joseph Roths “Hiob” geht es aber gar nicht um eine direkte Abrechnung mit den Nazis, sondern es ist eine im eher unbedroht erscheinenden jüdischen Milieu angesiedelte Schilderung des Lebensabends des jüdisch-orthodoxen Dorfschullehrers Mendel Singer, der sich an sein zwar schweres, aber auch von Familienzusammenhalt bestimmtes Dasein in einer letztlich fromm-freudigen Schicksalsergebenheit erinnert.

Mit ihrer äußerst heterogenen Mischung an Beiträgen gelang Berben ein äußerst lebendiges Porträt jener Zeit aus der Sicht der zur Nazi-Zeit nicht erwünschten Autoren, die aber gleichwohl das Leben eines recht großen Teils der deutschen Bevölkerung widerspiegeln. Berben beeindruckte dabei mit der außergewöhnlichen Wandlungsfähigkeit ihrer Stimme, die jeweils perfekt auf die jeweilige Textsorte abgestimmt war. Zusätzliche Authentizität erhielt die Darbietung durch dem damaligen Zeitgeschmack entsprechende nationalistische Parolen und zu der Zeit passende Zitate etwa von Heinrich Heine (“Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen”), aus der wie eine Grammophonaufnahme klingenden knisternden Konserve, die jeweils an den Übergängen zwischen den musikalischen Darbietungen und den Leseabschnitten eingespielt wurden.

Auch die vortreffliche Arbeit des Klenze Quartetts mit seinen drei Geigen und einem Cello ist zu würdigen, deren Stücke verfemter Komponisten die Stimmungen der jeweiligen Texte oft kongenial widerspiegelten, mal mit bizarren, disharmonischen, mal mit bedrückend stillen lyrischen Partien, oder auch beschwingt rhythmisch.

Text: Marcus Pfeifer, Fotos: Gerold Meppelink