Als ein Traum, der in Erfüllung geht und als abschließender Höhepunkt stellte sich das Abschlusskonzert der Kulturpass-Saison heraus, dass am vergangenen Freitag deutlich mehr als 500 Zuschauer in das Forum des Lise-Meitner-Gymnasiums lockte und sich damit als eine der erfolgreichsten Veranstaltungen der vergangenen Jahre herausstellte.
Im Jubiläumsjahr des 25. Bestehens hatte man sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen und neben der unbestrittenen Hauptattraktion des Abends, dem australischen Stargitarristen Tommy Emmanuel, der damit schon zum fünften Mal in Neuenhaus auftritt, sich gleich auch den ebenfalls mit internationalen Preisen ausgezeichneten Jazzgitarristen Sylvain Luc nach Neuenhaus eingeladen, für den es das dritte Mal war.
Wortlos, mit sympathischer Zurückhaltung, betrat letzterer als erster die Bühne und setzte sich auf einen einfachen Schülerstuhl mit rot lackiertem Gestell. Meditativ und scheinbar geradezu selbstvergessen improvisierend wirken seine in der Regel nahezu zehnminütigen Darbietungen, meist mit bedächtigen lyrischen Klangfarben. Sylvain Luc spielt so frei assoziierend mit seinen Themen, dass einmal angedeutete zarte musikalische Strukturen sich meist schnell wieder verflüchtigen, um anderen eigenwilligen Eingebungen Raum zu geben. Eine einheitliche Form wird dem Zuschauer dabei kaum einmal greifbar.
Ein Grund, warum Lucs Darbietung meist etwas fremdartig anmutet, mag auch sein, dass wie etwa bei “Gazte” baskische Melodien eine Ausgangsbasis darstellen. Intensiver wird sein Vortrag jedenfalls, wenn er von der Konzert- zur Jazzgitarre umsteigt, die sich auch durch elektronische Mittel als ein wesentlich klangvollerer Resonanzkörper darstellt. Hier wird Lucs Spiel auch unruhiger, dissonanter, nimmt phasenweise psychedelische Züge an, wenn er etwa das Thema des deutschen Kinderliedes “Alle meine Entchen” stark verfremdet. Gekonnt imitiert Luc auch zum Beispiel Stepptanzgetrippel und präsentiert bei seiner Zugabe erneut absonderlich bizarr anmutende Zupftechniken.
Tommy Emmanuel, der um einiges ältere, betritt um einiges energischer als sein Vorgänger die Bühne. Lässig tänzelt er mit gekonntem Hüftschwung auf der Bühne, während er kraftvolle, schnelle Bluesrockrhythmen anstimmt, die Stilrichtung, die das Konzert von nun an stark dominieren soll.
So singt er Doc Watsons “Deep River Blues”, ein gewaltiger musikalischer Aufschrei nach Regen, mit einer so ungeheuren Energie und in einem immer rasanteren Tempo, das ihm im Verlauf des Vortrags der Rhythmus geradezu wegzulaufen scheint, wie man noch öfter erleben wird, etwa auch bei der Interpretation der von ihm selbst verfassten Stücke wie das reinste Westernatmosphäre ausstrahlende Stück “Bloodbrother” oder bei seinen eigenwilligen Bluesrockversionen der legendären Beatles-Songs, wie etwa der sich immer stärker beschleunigenden und schließlich nur so hinweggaloppierenden “Lady Madonna”.
Wie Luc zuvor variiert auch Tommy Emmanuel seine Themen stark und begibt sich auf immer wieder vollkommen überraschend eingeschlagene musikalische Abwege, kehrt aber auch immer wieder zu den seine Stücke durchziehenden eingängigen Grundmotiven zurück, die viele Zuschauer selbst zu rhythmischen Bewegungen animieren. Auch gönnt er nach besonders hektischen Nummern dem Publikum ein bisschen Beruhigung bei besinnlich balladenhaften Stücken, etwa bei einer nur mit wenigen rhythmischen Kicks verfremdeten Version des Beatles-Titels “Here Comes the Sun” oder seinem “Smokey Mountain Lullabye”.
Besondere Einlagen liefert Emmanuel etwa, wenn er die Gitarre zu einem Schlag- und Zupfinstrument anderer Art umfunktioniert und das so gründlich und vielseitig, indem er alle Oberflächen der Gitarre ausreizt wie den Steg, das Schallloch, das Griffbrett und den Kopf der Gitarre, sich dabei schließlich wahlweise auch eines Schlagzeugerbesens bedient und mit ihm ans Mikrofon geht, dass so die unwahrscheinlichsten Soundeffekte entstehen, bis es zu einem stakkatoartigen Finale kommt, das dem eines herkömmlichen Schlagzeugers in nichts nachsteht.
Bei “The Tall Fiddler”, anhand dessen er auch spaßeshalber seinem Publikum ein paar Tipps zur eigenen Vervollkommnung ihrer musikalischen Fähigkeiten gibt, imitiert er auf verblüffende, rasante und technisch brillante Weise den typischen, vergnügt tänzelnden Musikstil der Geiger des amerikanischen Westens. Zu solchen musikalischen Kapriolen, die das Publikum zu spontanem Gelächter hinreißen, passte auch der clowneske, aber gleichfalls technisch brillante Auftritt von Heino Sluet, einem Genie auf der Mundharmonika aus der regional bekannten Formation “King Louis”.
Einen Höhepunkt stellte Emmanuels vollkommen ohne instrumentelle Begleitung gesungene Darbietung von “Today is Mine” von Jerry Reed dar, einem anderen, vor wenigen Jahren verstorbenen Ausnahmegitarrenspieler, der wie Emmanuel und nur wenige andere mit dem Titel eines CGP (Certified Guitar Player) geehrt wurde. Dieses Lied ist als eindringliche Mahnung zu verstehen, trotz der angesichts vieler Widrigkeiten berechtigt erscheinenden Neigung, die Gegenwart zu verfluchen, jeden Tag Leben, den man geschenkt bekommt, doch so voll auskosten wie einem nur möglich, es aber auch mit anderen zu teilen. Eine abschließende Jam-Session zunächst mit Sylvain Luc, dann auch nochmals mit Heino Sluet rundete das Konzert, das mit mehr als drei Stunden auch eines der längsten in der Geschichte des Kulturpasses war, auf stimmungsvolle Weise ab.