Wolf Biermann

Wolf Biermann singt von Liebe, Krieg und Tod. Rund 200 Zuschauer erleben in Neuenhaus einen beeindruckenden Abend.

Der Liedermacher Wolf Biermann hat am Mittwoch in Neuenhaus ein Konzert gegeben. Begleitet wurde er von seiner Frau Pamela. Das Ehepaar bot ein vielseitiges Programm und eine Darbietung in Brechtscher Tradition.

Andernorts fällt er das Wiener Burgtheater, das Hamburger Thalia-Theater oder das Berliner Ensemble in Neuenhaus strömten immerhin knapp 200 Gäste in das Lise-Meitner-Forum, um dem Konzert mit Wolf Biermann und seiner Frau Pamela beizuwohnen. Ganz offen bezeichnet er eingangs Neuenhaus als “Kaff”, mildert seine Herablassung aber dann mit den Worten, dass Provinzialität stets eine Angelegenheit des eigenen Kopfes sei und nicht unbedingt in erster Linie die eines Ortes.

Anders als sonst wird Biermann hier von seiner Frau Pamela begleitet, anders als sonst interpretiert Biermann nicht Lieder aus ursprünglich eigener Feder, sondern seine Übertragungen der Texte von Chansonniers, Liedermachern und Dichtern aus aller Herren Länder ins Deutsche, oft mit einem politischen, gesellschaftskritischen Unterton. Oft geht es auch um das alte und doch immer wieder neue Sujet der Liebe, wie auch eben in jenem russischen Chanson namens “Ach die erste Liebe”, das Biermann zum Motto seiner Tournee auserkoren hat. Dieses Lied entpuppt sich allerdings wenig sentimental, indem es den Verlust der Unschuld thematisiert, der sich mit einer wachsenden Anzahl von Liebhaberinnen bzw. Liebhabern einstellt. Oft sei das Spiel der Geschlechter ohnehin lediglich als eine andere Form des Krieges anzusehen, eine “Glückliche Liebe”, wie George Brassens einst gedichtet hat, gebe es eigentlich gar nicht, oder erst dann, nachdem man aufgehört hat, darauf zu hoffen.

Biermann eckt an mit seinen Angriffen auf die heile Welt der scheinheiligen Bürger, wie etwa in “Geile Spießer” und “Der schlechte Ruf”, in denen Verlogenheit und Intoleranz gegenüber Außenseitern angeprangert wird. Die Tragik des Krieges wird exemplarisch vorgeführt anhand der Ballade englischer Herkunft “Johnny, nun liegst du so da”, der Totenklage einer jungen Frau, die ihren gefallenen Partner beweint.

Eine politisch-revolutionäre Aussage werde bestimmten Liebesliedern hingegen im Einzelfall auch erst im Nachhinein untergeschoben, wie Biermann am Beispiel von “Le temps des cerises”, also “Die Zeit der Kirschen” darlegt: So habe Jean-Baptiste Clément, der spätere Revolutionär der Pariser Kommune von 1871, dieses Lied von roten Kirschen und der Sehnsucht nach roten Lippen schon Jahre vor jener politischen Erhebung gedichtet. Erst im Nachhinein sei das Lied zu einer politischen Hymne umgedeutet worden, die metaphorisch von der Hoffnung auf eine rote Revolution kündet.

Das Lied des schwedischen Dichters Nils Ferlin von einer “Blaublümeleinwelt”, ein Abgesang auf eine Welt viel zu romantischer und sentimentaler Wunschvorstellungen, setzt Biermann selbst ein als eigene allegorische Abrechnung mit dem Trugbild der kommunistischen Ideologie.

Die Stimme Pamela Biermanns ist bei diesem Konzert weit mehr als weibliche Begleitmusik, viele Lieder erfahren durch den Wechselgesang beider Künstler eine viel größere Plastizität. Eindrucksvoll variiert Pamela Biermann ihre Stimme, sie singt mal lasziv, gelegentlich lyrisch, sie setzt effektvoll den Hamburger Dialekt ein, ihr gelingen eindrucksvolle Koloraturen.

Auch Biermanns Stimme variiert stark, wobei letztlich seine dem Volk aufs Maul schauende Seebärenstimme dominiert. An Klavier und Gitarre überzeugt er mit lauten und leisen Tönen, sei es der Blues, seien spanische oder französische Rhythmen. Insgesamt hat die musikalische Untermalung meist nur einen dienenden, untergeordneten Charakter, beschränkt sich oft auf einzelne Akkorde und Tonfolgen, liefert nur den Hintergrund für die Darbietung der Texte.

Trotz eines so meist eher Unterkühlen, prosaischen Charmes der Präsentation, die ganz im Zeichen der Brechtschen Tradition stand, ergab sich insbesondere durch die ganz verschiedenen kulturellen Kontexte, ob nun US-amerikanische Spielhöllen, das jüdische Schtetl oder die mittelalterliche Welt der Kreuzzüge, ein außerordentlich schillerndes Panoptikum verschiedenster atmosphärischer Welten, die das ausgesuchte Publikum ganz in ihren Bann zog.

Text: Marcus Pfeifer, Fotos: Klaus Mosch-Wicke